Das Thema „Wann verfällt Urlaub“ hat in den letzten Wochen und Monaten die Arbeitsgerichte mehr denn je beschäftigt. Hintergrund sind die Obliegenheitspflichten des Arbeitgebers. Informiert er seine Beschäftigten nicht rechtzeitig über ihre noch offenen Urlaubsansprüche und fordert er sie nicht auf, den Urlaub rechtzeitig zu nehmen, verfällt dieser nicht. Nun gesellt sich ein neues, wichtiges Urteil zu diesem Thema hinzu (Arbeitsgericht (ArbG) Hamburg, Urteil vom 23.8.2023, Az: 25 Ca 117/22).
Der Fall: Eine Arbeitnehmerin war lange Zeit krank. Dann bezog sie Rente. Zwar konnte sie, bevor das Arbeitsverhältnis endete, noch einen Teil ihres aufgelaufenen Resturlaubs nehmen. Einen Teil des offenen Urlaubs zahlte der Arbeitgeber auch aus. Doch das reichte der Beschäftigten nicht. Ihrer Meinung nach war noch weiterer Urlaub offen – und entsprechend auszubezahlen. Immerhin 8.000 Euro, wie sie schätzte.
Der Arbeitgeber wollte nicht zahlen. Selbst wenn noch Urlaub offen sei, gelte für das Arbeitsverhältnis doch eine arbeitsvertragliche Regelung, wonach Folgendes gelte:
- Urlaub ist bis zum Ende des Kalenderjahres zu gewähren und zu nehmen, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist.
- Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr erfolgt nur dann, wenn dringende betriebliche oder in der Person des/der Mitarbeiters*in liegende Gründe dies rechtfertigen.
- Im Falle der Übertragung muss der Urlaub bis zum 30. April des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden.
- Kann der Urlaub wegen Arbeitsunfähigkeit nicht bis zum 30. April gewährt und genommen werden, ist er bis zum 30. Juni zu gewähren und zu nehmen. Urlaub, der innerhalb dieser Fristen nicht genommen wurde, verfällt mit Ausnahme des gesetzlichen Mindesturlaubs und des gesetzlichen Zusatzurlaubs, der in der Folge von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht genommen werden konnte.
- Mit der Gewährung von Urlaub wird bis zu dessen vollständiger Erfüllung zunächst der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch, dann ein etwaiger Anspruch auf gesetzlichen Zusatzurlaub und schließlich der arbeitsvertragliche Anspruch auf Mehrurlaub erfüllt.
- § 17 MuSchG und § 17 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz bleiben unberührt.“
Das ArbG Hamburg hält diese Vereinbarung für rechtswidrig. Schließlich haben der Europäische Gerichtshof (EuGH) und in mehreren Urteilen das Bundesarbeitsgericht (BAG) klar entschieden: Urlaubsanspruch verfällt grundsätzlich nur dann, wenn ein Arbeitgeber seine Mitwirkungspflichten erfüllt hat. Genau das hatte der Arbeitgeber im hier entschiedenen Fall nicht getan. Er hatte zwar auf den möglichen Urlaubsverfall im Arbeitsvertrag hingewiesen. Das aber reicht nicht. Denn:
Jeder und jede Beschäftigte muss vom Arbeitgeber individuell informiert werden. Ein allgemeiner Hinweis im Arbeitsvertrag oder auch ein Hinweis am „Schwarzen Brett“ oder im Intranet, wie beispielsweise „Denken Sie daran, Ihren noch offenen Resturlaub rechtzeitig zu nehmen, weil er ansonsten mit dem Jahreswechsel verfällt“ reicht in keiner Weise aus. In seinen letzten vier Urteilen zu diesem Thema vertritt das BAG eine sehr klare Meinung.
Demnach gilt:
- Jeder Arbeitgeber muss seine Beschäftigen (auch mehrmals im Jahr) über ihre noch offenen Urlaubsansprüche (auch jenen aus zurückliegenden Jahren) unterrichten. Das muss schriftlich und individuell erfolgen.
- Zudem muss er die Beschäftigten auffordern, den Urlaub auch tatsächlich zu nehmen. Diese Aufforderung muss unmissverständlich sein.
- Und auf keinen Fall fehlen darf der Hinweis, dass der Urlaub ansonsten verfällt.
- Solange Ihr Arbeitgeber diese individuelle Information nicht oder nicht vollständig schickt, hat er seine Mitwirkungspflicht nicht erfüllt. Zumindest der Urlaubsanspruch in Höhe des gesetzlichen Mindesturlaubs verfällt nicht.
Wichtig: Die gesetzliche Verjährungsfrist von drei Jahren gilt hier nicht. Sie beginnt erst dann, wenn Ihr Arbeitgeber erstmals eine korrekte Information erteilt hat (Urteil vom 20.12.2022, Az: 9 AZR 266/20).
Das gilt bei erkrankten Kolleginnen und Kollegen
- Grundsätzlich verfällt der Urlaubsanspruch mit Ablauf der 15-Monats-Frist, wenn eine Kollegin oder ein Kollege seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31.3. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgende Kalenderjahr aus gesundheitlichen Gründen keinen Urlaub nehmen konnte. Also arbeitsunfähig war.
- Ist eine Kollegin oder ein Kollege aber durchgehend arbeitsunfähig, kommt es nicht darauf an, ob Ihr Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist, der Urlaub hätte ja nicht genommen werden können.
Im jetzt in Hamburg entschiedenen Fall erhielt die Arbeitnehmerin genau deshalb auch „nur“ 2.000 statt der erhofften 8.000 Euro. Urlaub, der während einer Erkrankung nicht genommen werden kann, erlischt 15 Monate nach dem Ende des Jahres, in dem er entstanden ist. Urlaub aus 2023 also am 31.3.2025. Denn anders sieht es aus, wenn eine Kollegin oder ein Kollege – wie hier der Fall – im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden ist. Dann hätte der Arbeitgeber rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit seine Mitwirkung wahrnehmen können und müssen.
Das gilt für schwerbehinderte Kolleginnen und Kollegen
Schwerbehinderte Kolleginnen und Kollegen haben Anspruch auf fünf Zusatztage Urlaub pro Jahr (§ 208 Neuntes Sozialgesetzbuch (SGB IX)). Der Anspruch entsteht ab dem Zeitpunkt, ab dem das Versorgungsamt die Schwerbehinderteneigenschaft feststellt. Dies ist grundsätzlich rückwirkend der Zeitpunkt der Antragstellung.
Auch der Anspruch auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen verfällt grundsätzlich nur dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor (erforderlichenfalls förmlich) aufgefordert hat, seinen Urlaub zu nehmen.
Wichtig: Die dargestellten Regeln zum Verfall der Urlaubsansprüche gelten grundsätzlich für alle gesetzlichen Ansprüche auf Mindest- bzw. Zusatzurlaub, also auch für die zusätzlichen Urlaubstage für schwerbehinderte Mitarbeiter. Gewährt Ihr Arbeitgeber darüber hinaus Mehrurlaub, kann er, vorbehaltlich abweichender Regelungen in einem anzuwendenden Tarifvertrag – vertraglich festlegen, dass dieser immer (auch bei Arbeitsunfähigkeit) spätestens am 31.3. des Folgejahres oder generell mit Schluss des Urlaubsjahres verfällt. Etwa so:
„Über den gesetzlichen Mindesturlaub sowie gesetzlichen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen hinausgehender Urlaub verfällt auch dann nach § 7 Abs. 3 BUrlG, wenn der Arbeitnehmer diesen Urlaub infolge Krankheit nicht nehmen konnte.“ Diese Regelung gilt auch jetzt noch weiter.