Der § 23 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) spricht eine deutliche Sprache: Bei schweren Pflichtverstößen kann der Betriebsrat durch das Arbeitsgericht aufgelöst werden. Das gilt immer dann, wenn er „ganz offensichtlich erheblich und schwerwiegend gegen seine gesetzlichen Pflichten verstößt“. Nun geht ein erstes deutsches Arbeitsgericht einen gefährlichen Schritt weiter.
Nach Auffassung der Richterinnen und Richter dort ist die Auflösung eines Betriebsrats auch dann möglich, wenn der Betriebsrat „in einer Vielzahl von Fällen“ gegen seine gesetzlichen Pflichten verstößt. Und zwar selbst dann, wenn jeder Verstoß für sich betrachtet die Auflösung des Gremiums nicht rechtfertigen würde (Arbeitsgericht (ArbG) Elmshorn, Beschluss vom 23.8.2023, Az: 3 BV e/23).
Viele Fehler gemacht
Man muss allerdings dazu sagen, dass der Betriebsrat im entschiedenen Fall eine ganze Reihe von Pflichtverstößen begangen hatte. Laut Urteil unter anderem folgende:
- Falsche Angaben bei der für die Betriebsratstätigkeit aufgewendeten Arbeitszeit
- Weitergabe von persönlichen Gesundheitsdaten von Beschäftigten auf der Betriebsversammlung
- Verstoß gegen das Gebot der Datensparsamkeit (So hatte der Betriebsrat z. B. alle Dienstpläne, Krankheitsmitteilungen und Urlaubsanträge ausdruckt und in eigenen Aktenordnern ablegt)
- Verstoß gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit
- Ausladung des Arbeitgebers auf der Betriebsversammlung, entgegen der Verpflichtung aus § 43 Abs. 2 BetrVG. Dort heißt es: „Der Arbeitgeber ist zu den Betriebs- und Abteilungsversammlungen unter Mitteilung der Tagesordnung einzuladen.“
- Durchführen von Betriebsrats-Sprechstunden ohne vorherige Einigung mit dem Arbeitgeber über Ort und Zeit, was nach § 39 Abs. 1 Satz 2 BetrVG geboten ist
Die Summe der Verstöße jedenfalls wurde vom Arbeitgeber sowie von einigen der Beschäftigten als nicht mehr hinnehmbar wahrgenommen. Deshalb beantragten sowohl der Arbeitgeber wie auch ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht die Auflösung des Gremiums.
Wie kann eine Auflösung beantragt werden?
- Es reicht ein Antrag von mindestens einem Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer.
- Ebenso kann eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen.
- Auch Ihr Arbeitgeber kann einen Antrag stellen.
Was passiert nach einem solchen Antrag?
Haben Arbeitgeber, Gewerkschaft oder ein Viertel der wahlberechtigten Beschäftigten einen Antrag auf Auflösung des Betriebsrats gestellt, kommt es ganz auf die Begründung im Antrag an. Das Gericht wird im normalen Beschlussverfahren über den Auflösungsantrag entscheiden. Das heißt auch: Ein Eilverfahren ist ausgeschlossen.
Achtung!
Das heißt aber nicht, dass Ihr Gremium sofort aufgelöst ist. Das ist erst dann der Fall, wenn die gerichtliche Entscheidung des Arbeitsgerichts über die Auflösung des Betriebsrats rechtskräftig geworden ist.
Das heißt auch: Legen Sie Berufung vor dem Landesarbeitsgericht ein, besteht Ihr Gremium erst einmal weiter. Es muss also stets die Rechtskraft der Entscheidung entstehen! Sollten Sie sich bis zum Bundesarbeitsgericht durchkämpfen, gilt aber: Diese Entscheidung kann von Ihnen nicht mehr angegriffen werden.
Betriebsratslose Zeit entsteht
Die Auflösung des Betriebsrats durch rechtskräftigen Gerichtsbeschluss wird so manchen Arbeitgeber freuen. Denn wenn der geschäftsführende Betriebsrat aufgelöst worden ist, ist das Unternehmen betriebsratslos. Es muss neu gewählt werden. Und da es keinen Betriebsrat mehr gibt, muss nun das Gericht einen Wahlvorstand bestellen.
Mein Tipp
Sie könnten natürlich überlegen, das Verfahren in die Länge zu ziehen (z. B. durch Einlegen von Berufung) – um dann durch Ihren Rücktritt den Weg für Neuwahlen frei zu machen. Denn dann liegt die Aufgabe bei Ihnen.
Das heißt:
- Teilen Sie dem Arbeitgeber knapp Ihren Rücktritt mit.
- Die oder der Vorsitzende beruft eine neue Sitzung ein. TOP: „Bestellung eines Wahlvorstandes“
- Der Wahlvorstand nimmt seine Arbeit auf.
Achtung!
Gesamter Betriebsrat heißt: inklusive der Ersatzmitglieder. Sonst rücken diese nach! Und: Die Auflösung des gesamten Betriebsrats ist ein Extremfall. Vermeiden Sie deshalb unbedingt schwerwiegende Pflichtverletzungen.
Beispiel
Ihr Arbeitgeber plant, einen Teil der Produktion zu schließen. Hierüber hat er Sie in einem vertraulichen Gespräch vorab informiert und um absolute Geheimhaltung gebeten. Trotzdem fassen Sie einen Beschluss und reichen ein Planungskonzept und die Liste der betroffenen Mitarbeiter an die örtliche Presse weiter.
Folge: Hier ist die Sachlage eindeutig, denn es liegt eine klare Pflichtverletzung des Betriebsrats vor. Ihr Arbeitgeber hat das Recht, die sofortige Auflösung des Betriebsrats zu beantragen.
Wichtig: Es muss sich immer um eine Amtspflichtverletzung des Betriebsrats als Kollektivvorgang handeln. Erforderlich ist also, dass Ihr ganzes Gremium die grobe Pflichtverletzung begangen hat und nicht nur einzelne Betriebsratsmitglieder. Diese wichtige Voraussetzung muss vorliegen, sonst hat Ihr Arbeitgeber mit der Auflösung keine Chance. Handeln nur einzelne Mitglieder im Alleingang pflichtwidrig, dann dürfen auch nur diese Mitglieder aus dem Betriebsrat ausgeschlossen werden.