Eine Grippe-Welle überrennt das Land. Noch nie waren so viele Beschäftigte auf einen Streich gleichzeitig arbeitsunfähig erkrankt wie jetzt. Dabei zeigt die Statistik der letzten zwölf Jahre (bis 2022): Die Arbeitgeberkosten für erkrankte Beschäftigte in Deutschland sind von Jahr zu Jahr immer stärker gestiegen. Das belegt auch diese Grafik des Instituts der Deutschen Wirtschaft.
2024 aber ist ein Jahr, das aufgrund der wirtschaftlich unsicheren Situation viele Arbeitgeber zum Rotstift greifen lässt. Damit werden auch die Kosten für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall als eine Position der Personalkostenkalkulation ins Visier rücken. Und damit eine der häufigsten Arbeitgeber-Maßnahmen, wenn es darum geht, einen (vermeintlich) zu hohen Krankenstand zu senken: Krankenrückkehrgespräche.
Machen wir uns nichts vor. So ein Krankenrückkehrgespräch dient dem Arbeitgeber dazu, die Fehlzeiten in seinem Betrieb zu senken. Denn solche Gespräche sind den betroffenen Beschäftigten oft unangenehm und – schlimmer noch – Ihr Arbeitgeber hat beim Inhalt dieser Gespräche weitgehend freie Hand.
Im Gespräch werden die aktuelle gesundheitliche Situation des Mitarbeiters, eventuelle arbeitsbedingte Ursachen der Fehlzeiten und die Zusammenhänge mit früheren Erkrankungen erörtert und erfragt.
Oft werden solche Gespräche über mehrere Stufen – je nach Häufigkeit der krankheitsbedingten Fehlzeiten – geführt. Eine Protokollierung ist dabei obligatorisch und manchmal erfolgt die Gesprächsführung nach bestimmten, vorgegebenen Standards. Krankenrückkehrgespräche zielen in erster Linie darauf ab, den Krankenstand im Betrieb zu senken, um Kosten zu sparen.
Dem aber können und dürfen Sie als Betriebsrat nicht tatenlos zusehen. Schließlich führen solche Gespräche dazu, dass viele Beschäftigten trotz Krankheit im Betrieb erscheinen, nur um sich ein solches Gespräch zu ersparen. Wer aber krank zur Arbeit kommt, tut sich keinen Gefallen, und – sofern es sich um ansteckende Krankheiten handelt – auch seinen Kolleginnen und Kollegen nicht.
Diese Gespräche greifen tief in die Privatsphäre ein
Besonders fatal: Ihr Arbeitgeber darf gezielt danach fragen,
- welche Ursachen zu der Krankheit geführt haben,
- ob die Krankheit nun ausgeheilt ist,
- ob der Arbeitnehmer wieder voll einsatzfähig ist,
- ob Veränderungen der Arbeitsbedingungen künftig Abhilfe schaffen und dadurch eine Wiederholung der Arbeitsunfähigkeit vermieden werden kann.
Was nett klingt, kann aber beim Arbeitgeber die Idee reifen lassen: Von diesem Beschäftigten trenne ich mich lieber … Und genau deshalb ist es so wichtig, dass Sie als Betriebsrat alle Karten ziehen, die Ihnen das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) an die Hand gibt!
Hier greifen Sie ein
Führt Ihr Arbeitgeber mit den Beschäftigten standardisierte Krankenrückkehrgespräche, um Informationen über Krankheitsursachen zu erhalten, besteht sofort ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Es geht hier nämlich um eine Frage der betrieblichen Ordnung. Das gilt jedenfalls dann, wenn diese Gespräche sowohl dazu dienen,
- arbeitsplatzspezifische Einflüsse zu beseitigen, als auch dazu
- individualrechtliche Maßnahmen bis zur Kündigung des Mitarbeiters durchzuführen (Landesarbeitsgericht (LAG) München, Beschluss vom 13.2.2014, Az: 3 TaBV 84/13).
Machen Sie Ihrem Arbeitgeber deshalb klar: Er tut daran, mit Ihnen gemeinsam für klare Spielregeln zu sorgen. Das ist besser als ein kategorisches Nein. Deshalb:
Für Ihren Arbeitgeber besteht per Gesetz die Pflicht, das sogenannte Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen (§ 84 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) IX). Im Rahmen dieses BEM muss Ihr Arbeitgeber mit allen Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren, Maßnahmen durchführen. Und zu diesen Maßnahmen gehören auch Gespräche mit dem Ziel, geeignete Wege zur Eingliederung des Mitarbeiters in den Arbeitsprozess zu finden.
Wenn Sie so wollen, ist dies nichts anderes als ein Krankenrückkehrgespräch. In diesem Gespräch geht es darum, dass Arbeitgeber und Betriebsrat – gemeinsam mit dem betroffenen Mitarbeiter und der Schwerbehindertenvertretung – erörtern,
- wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden wird,
- mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und
- der Arbeitsplatz erhalten werden kann.
Das BEM geht aber – obwohl Krankenrückkehrgespräche als Einzelmaßnahme dazugehören – weit über das Instrument des Krankenrückkehrgesprächs hinaus.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zu einem solchen Gespräch „gebeten“ werden, dürfen Sie als Betriebsrat hinzuziehen (§§ 82 Abs. 2, 84 Abs. 1 BetrVG). Schwerbehinderte Mitarbeiter können sich auch an die Schwerbehindertenvertretung wenden. Weisen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen unbedingt darauf hin, denn so können Sie sich Einflussnahme und vor allem Kontrolle sichern!
Wichtig: Regeln Sie die 3 Tabuzonen in der Betriebsvereinbarung
1. Kein Ausspionieren der Beschäftigten
Ziel dieser Gespräche darf in gar keinem Fall sein, dass Ihr Arbeitgeber seine Beschäftigten ausspioniert. Das Gespräch darf keinesfalls zu einer peinlichen Befragung werden. Ihr Arbeitgeber soll deshalb alternativ eventuelle betriebliche Gründen für die Ausfallzeit und eine eventuelle Arbeitsüberlastung prüfen. Sie können dies ausdrücklich in einer Betriebsvereinbarung festschreiben.
2. Stellen Sie die Persönlichkeitsrechte des Mitarbeiters heraus
Auch im Krankenrückkehrgespräch ist das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten zu beachten. Hier ist ebenfalls eine ausdrückliche Klausel in Ihrer Betriebsvereinbarung denkbar, die dieses Persönlichkeitsrecht schützt.
3. Die Diagnose bleibt Tabuzone
Die Diagnose für die Arbeitsunfähigkeitszeit eines Beschäftigten bleibt grundsätzlich tabu. Ihre Kollegin oder Ihr Kollege muss hierzu keine Antwort geben. Auch zu diesem Punkt sollte sich Ihre Betriebsvereinbarung klar äußern.