Der § 75 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) spricht eine deutliche Sprache: Gemeinsam mit Ihrem Arbeitgeber haben Sie darüber zu wachen, „dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden“ und dass Diskriminierung unterbleibt. Das bedeutet auch, dass Beschäftigte gleichbehandelt werden. Womit der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz auch in Betriebsvereinbarungen eine wichtige Rolle spielt. Das sieht auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg so (Urteil vom 30.6.2023, Az: 12 Sa 1394/22). Es sagt aber auch: Begründete Ausnahmen sind ausdrücklich erlaubt.
Im entschiedenen Fall hatte der (Konzern-)Betriebsrat mit dem Arbeitgeber eine Betriebsvereinbarung über Sonderzahlungen für 2021 an die Beschäftigten geschlossen. Ein Betriebsteil wurde von der Sonderzahlung aber ausgenommen. Hiergegen klagte eine betroffene Arbeitnehmerin. Sie machte geltend:
Der Ausschluss des Betriebsteils von deren räumlicher Geltung der Betriebsvereinbarung verstoße gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und gegen die Grundsätze von Recht und Billigkeit, der in § 75 BetrVG verankert ist.
Klage blieb ohne Erfolg
Das Gericht schaute sich sowohl die Betriebsvereinbarung als auch die Begründung für den Ausschluss des Betriebsteils an. Danach hatte es keine Bedenken mehr gegen die Ungleichbehandlung.
Denn der von der Sonderzahlung ausgenommene Betriebsteil hat als einziger im Jahr 2021 ein sehr schwaches Ergebnis erzielt. Da mit der Sonderzahlung aber der unternehmerische Erfolg mit den Beschäftigten geteilt werden sollte, gab es einen Sachgrund für die Ungleichbehandlung. Die Arbeitnehmerin ging leer aus.
Grundsätzlich sind Sie an den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 71 Abs. 1 BetrVG gebunden: Beschäftigte in „vergleichbaren Sachverhalten“ müssen gleichbehandelt werden. Es darf keine unzulässige Gruppenbildung geben. Soll eine Ungleichbehandlung erfolgen, muss es hierfür einen nachvollziehbaren Sachgrund geben (BAG-Urteil vom 26.4.2016, Az: 1 AZR 435/14 und BAG-Urteil vom 8.12.2015, Az: 1 AZR 595/14). Bei Sonderzahlungen spielt hierbei der Zweck, der mit der Zahlung verfolgt wird, eine entscheidende Rolle.
Beispiel
Eine Beschränkung von Zulagen auf bestimmte Arbeiten kann durch besondere Belastungen sachlich gerechtfertigt sein, die mit der Tätigkeit einhergehen. Denken Sie beispielsweise an Beschäftigte, die in einer sehr staubbelasteten Atmosphäre arbeiten. Diesen soll eine „Staubzulage“ gewährt werden.
Folge: Das ist möglich. Es ist sachlich gerechtfertigt, wenn nur diese Beschäftigten die Zulage erhalten.
Praxis-Tipp
Der Rechtsprechung nach müsste die Betriebsvereinbarung nicht einmal den Titel „BV Staubzulage“ tragen. Doch der Fall aus Berlin zeigt: Je klarer der Sinn und Zweck der Betriebsvereinbarung bzw. der mit einer Sonderzulage verfolgte Zweck beschrieben wird, umso besser lassen sich gerichtliche Streitigkeiten vermeiden.
Das sagt das BAG in seinem Grundsatzurteil aus 2016:
- Bei der Erstellung von Betriebsvereinbarungen haben Sie § 75 Abs. 1 BetrVG zu beachten. Der dort geregelte und auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zurückzuführende betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zielt darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen.
- Haben Sie also in einer Betriebsvereinbarung für verschiedene Arbeitnehmergruppen unterschiedliche Leistungen vorgesehen, verlangt der Gleichheitssatz, dass diese Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist (BAG, Urteil vom 26.4.2016, Az: 1 AZR 435/14).
- Maßgeblich hierfür ist vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck. Dieser ergibt sich vorrangig aus den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen, von deren Vorliegen und Erfüllung die Leistung abhängig gemacht wird.
- Dabei ist bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung der Gleichheitssatz bereits dann verletzt, wenn eine Gruppe von Mitarbeitern im Vergleich zu anderen Mitarbeitern anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass diese die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.
Beispiel: Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund
Arbeitgeber M. betreibt eine große Spedition. Er beschäftigt eine Reihe von Kraftfahrern, die als Fernfahrer in ganz Europa eingesetzt werden und darüber hinaus einige Kurierfahrer, die in Deutschland für Schnell- und Kurztransporte eingesetzt werden. Mit seinem Betriebsrat hat er in einer Betriebsvereinbarung geregelt, dass die Fernfahrer als Weihnachtsgeld 80 % des monatlichen Brutto erhalten. Die Kurierfahrer erhalten dagegen 100 %. Michael M., ein Fernfahrer, findet diese Regelung ungerecht, er reklamiert einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.
Folge: Zu Recht. Es gibt keinen sachlichen Grund, der eine Ungleichbehandlung dieser beiden Arbeitnehmergruppen rechtfertigen würde.