Am 20.8.2019 entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG): Gibt es sowohl eine individualrechtlich getroffene Vereinbarung zu einer Betriebsrente wie auch eine Gesamt-Betriebsvereinbarung hierzu, „schlägt“ die individualrechtliche Vereinbarung die Betriebsvereinbarung, sofern diese Ihre Kollegin oder Ihren Kollegen besser stellt (Az: 3 AZR 145/18). Ihr Arbeitgeber kann also nicht argumentieren: „Wir haben zwar Regeln und Konditionen zur Betriebsrente in Ihrem Arbeitsvertrag festgehalten, später wurde aber eine Betriebsvereinbarung geschlossen, die niedrigere Bezüge vorsieht. Also gilt diese Betriebsvereinbarung.“
Das BAG bestätigt mit diesem Urteil das sogenannte Günstigkeitsprinzip, das im Verhältnis zwischen Arbeitsvertrag und Betriebsvereinbarung gilt. Es besagt: Für das Verhältnis vertraglicher Ansprüche zu den Normen einer nachfolgenden Betriebsvereinbarung gilt: günstigere Regelungen im Arbeitsvertrag gehen vor! So beispielsweise auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln mit Urteil vom 25.8.2019, Az: 12 Sa 500/14.
Doch nicht nur mit Blick auf Arbeitsverträge gilt das Günstigkeitsprinzip
Nach diesem Prinzip geht grundsätzlich immer diejenige arbeits-, tarifvertragliche oder gesetzliche Regelung vor, die für Ihre Kollegin oder Ihren Kollegen vorteilhafter ist als die in einer Betriebsvereinbarung getroffene ungünstigere Regelung.
Achtung!
Anders sieht es aus, wenn eine neue Betriebsvereinbarung die Regelungen einer alten Betriebsvereinbarung verdrängt und keine tarif- oder arbeitsvertraglich vereinbarten besseren Regelungen greifen. In diesem Fall gelten dann die neuen, schlechteren Regelungen der neuen Betriebsvereinbarung. Allerdings kann auch eine neue Betriebsvereinbarung nicht in bereits entstandene Ansprüche und Anwartschaften eingreifen
Doch nun stellen Sie sich folgenden Fall einmal vor: Laut Tarifvertrag haben Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen 30 Tage Urlaub pro Jahr. Im Arbeitsvertrag eines Ihrer Kollegen steht jedoch, dass dieser 36 Tage Erholungsurlaub hat.
k Hier ist die arbeitsvertragliche Regelung günstiger als die tarifvertragliche und hat daher Vorrang.
ABER:
Sie dürften an dieser Stelle nicht eine Betriebsvereinbarung abschließen, nach der sämtliche Arbeitnehmer 36 Tage Urlaub erhalten! Denn grundsätzlich gilt eine Rangordnung:
- An oberster Stelle stehen die Gesetze.
- Dem folgt ein anwendbarer Tarifvertrag.
- Dann kommen Betriebsvereinbarungen.
- Dann folgt erst der Arbeitsvertrag.
Beispiel: Wann tarifliche Regelungen Vorrang haben
Verstößt eine Klausel in einem Arbeitsvertrag eines Kollegen gegen einen in Ihrem Betrieb anwendbaren Tarifvertrag, gelten hinsichtlich dieses Regelungspunktes grundsätzlich die tariflichen Regelungen. In dem Fall mit dem Urlaub von oben hat der Kollege nur das Glück, dass er sich auf das Günstigkeitsprinzip als Ausnahme berufen kann.
Ausnahme Tariföffnungsklausel
Eine echte Ausnahme vom Tarifvorrang für Sie als Betriebsrat ist eine Öffnungsklausel. Lässt der Tarifvertrag ausdrücklich eine unterrangige Vorschrift zu, also beispielsweise im Arbeitsvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung, darf diese Regelung dann sogar schlechter sein als der Tarifvertrag.
Beispiel: Schlechterstellung durch Tarifvertrag
Die gesetzliche Kündigungsfrist für Ihren Arbeitgeber beträgt mindestens vier Wochen (§ 622 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)). In einem Tarifvertrag darf die Frist aber auch kürzer sein (§ 622 Abs. 4 Satz 1 BGB).
Lücken im Tarifvertrag
Auch bei einer Lücke in einem Tarifvertrag kann eine Betriebsvereinbarung möglich sein. Hierbei kommt es allerdings auf die Auslegung des Tarifvertrags an und was die Tarifvertragsparteien im Einzelnen gewollt haben. Im Regelfall gilt: Ist eine tarifliche Regelung nicht abschließend, können Sie ergänzende Regelungen in einer Betriebsvereinbarung treffen.
Beispiel: Ergänzende Regelungen
In einem Tarifvertrag ist eine Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche vereinbart. Wann und in welcher Form diese zu leisten sind, können Sie mit Ihrem Arbeitgeber in einer Betriebsvereinbarung regeln.
Verstoß gegen Gesetzesvorrang
Einen wichtigen Fall des Verstoßes gegen den Gesetzesvorrang musste das BAG 2014 entscheiden (Beschluss vom 22.7.2014, Az: 1 ABR 96/12). Der Gesetzesvorrang besagt letztendlich etwas Ähnliches wie der Tarifvorrang. Durch eine Betriebsvereinbarung dürfen Sie nicht gegen Gesetze verstoßen.
Im entschiedenen Fall konnten sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht über den Auszahlungstermin für die Vergütung einigen. Die Einigungsstelle wurde angerufen. Durch einen Einigungsstellenspruch kam es zu einer „Betriebsvereinbarung über den Zeitpunkt und die Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte“. Darin war bestimmt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen jeweils zum Ersten des Folgemonats die aus festen Bestandteilen bestehende monatliche Vergütung auf ein vom Arbeitnehmer mitzuteilendes Konto bei einem Geldinstitut überweisen soll.
Das BAG urteilte anders
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats wurde durch den Gesetzesvorbehalt in § 87 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ausgeschlossen, soweit es um die Festlegung eines Zeitpunkts für die Überweisung des Mindestentgelts geht. Das BAG entschied also: Der Betriebsrat hat nicht nach § 87 Abs. 1 BetrVG mitzubestimmen, soweit die betreffende Angelegenheit gesetzlich geregelt ist. Das beruht auf der Erwägung, dass für die Erreichung des Mitbestimmungszwecks kein Raum mehr verbleibt, wenn eine den Arbeitgeber bindende und abschließende gesetzliche Vorschrift vorliegt. Wird der Mitbestimmungsgegenstand durch diese inhaltlich und abschließend geregelt, fehlt es an einer Ausgestaltungsmöglichkeit durch die Betriebsparteien. Ein Gesetz ist dabei jedes förmliche oder materielle Gesetz, soweit es sich um eine zwingende Regelung handelt. Hiernach schränkt § 3 Abs. 1 Satz 1 Pflegearbeitsbedingungenverordnung (PflegeArbbV) das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG ein. Denn dort ist geregelt, dass das Mindestentgelt für die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit zum 15. des Monats fällig wird!
Fazit:
Besser geht (fast) immer, denn der Vorrang von geltenden Tarifverträgen gilt nicht bei Regelungen in Arbeitsverträgen zugunsten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Was aber abschließend im Gesetz geregelt ist, kann nicht durch eine Betriebsvereinbarung geregelt werden – auch nicht, wenn diese die Beschäftigen „besser“ stellt. Individualrechtliche Vereinbarungen, die Beschäftigte besser stellen als eine Betriebsvereinbarung „toppen“ die Betriebsvereinbarung.