Eine Arbeitnehmerin arbeitete bei einer Bank. Sie sollte verplombte Geldkoffer entgegennehmen. Entgegen der Arbeitsanweisung zog sie keinen Kollegen hinzu. Auch nicht beim Öffnen der Koffer. Sie gab an, in den Koffern sei kein Geld gewesen, sondern Waschpulver und Windeln. Ihr Arbeitgeber kündigte wegen des dringenden Verdachts der Unterschlagung. Der Fall ging bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG) und zurück vor das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm. Nun liegt die endgültige Entscheidung vor:
Nach Auswertung aller Indizien entschied das Gericht: Fristlose Kündigung rechtens. Erschwerend zu den Ermittlungsergebnissen des Arbeitgebers war mittlerweile hinzugekommen, dass inzwischen ein Strafprozess vor dem Amtsgericht (AG) Herne gegen die Frau stattgefunden hatte. Von diesem Gericht war sie wegen Unterschlagung zu zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis und Rückzahlung der 115.000 Euro verurteilt worden. Das LAG Hamm bestätigte auch aufgrund dessen die Verdachtskündigung des Arbeitgebers mit Urteil vom 24.10.2019, Az: 17 Sa 1038/18.
Der Fall zeigt: Bei Verdachtskündigungen kommt es wirklich auf alle begleitenden Umstände an. Im entschiedenen Fall hatte die Frau mal gewonnen, mal verloren. Deshalb hatte das BAG die Vorinstanz aufgefordert, noch einmal genau zu prüfen, wie belastbar die vom Arbeitgeber vorgetragenen Indizien waren.
! Meine Empfehlung
Wenn Sie als Betriebsrat in der Anhörung zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung auch nur den geringsten Zweifel haben, dass die Schuld tatsächlich nach Abwägen aller Umstände nur bei der oder dem Beschäftigten liegen kann, stellen Sie eigene Nachforschungen an. Schließlich geht es hier um die Existenz einer Kollegin bzw. eines Kollegen.
Worauf es ankommt
§ 626 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) lässt eine Verdachtskündigung immer dann zu, wenn
- sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen,
- diese Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensverhältnis zu zerstören und
- Ihr Arbeitgeber alle ihm zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat, was auch beinhaltet, dass die oder der Betroffene vor der Kündigung die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Tatvorwurf bekommen hat.
! Achtung!
Eine fristlose Kündigung kann nur ausgesprochen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Dies ist nur der Fall, wenn der Arbeitgeber nach einer umfassenden Interessenabwägung zu dem Schluss kommen kann, dass ihm das Abwarten der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zuzumuten ist. Entscheiden Sie hier einzelfallbezogen.
Wichtig: Es reicht nicht jeder Verdacht für eine Kündigung aus, vielmehr muss dieser Verdacht objektiv und dringend sein. Objektiv heißt, dass der Verdacht durch bestimmte Tatsachen begründet ist. Reine Gerüchte oder Vermutungen reichen nicht. Dringender Tatverdacht heißt: Bei kritischer Prüfung aller Indizien muss eine große Wahrscheinlichkeit bestehen, dass gerade ein bestimmter Mitarbeiter die Tat begangen hat.
! Mein Tipp
Möchten Sie in der Kündigungsanhörung prüfen, ob ein Tatverdacht ausreicht, machen Sie den sogenannten Laientest. Schildern Sie Ihrem Lebenspartner(in) oder einem Freund anonymisiert den Fall. Wenn diese Personen sagen: „Der war’s!“, können Sie von einem schwerwiegenden Tatverdacht ausgehen!
Verdachtsstärkend kann sein, dass
- der Mitarbeiter einschlägig vorbestraft ist,
- immer wieder bei demselben Arbeitnehmer gleiche oder ähnliche Verdachtsmomente auftreten,
- ein Strafverfahren eingeleitet wurde oder sogar schon Anklage erhoben wurde oder
- sich der Mitarbeiter selbst in Widersprüche verstrickt.
Es muss ein konkreter Bezug zum Arbeitsplatz vorliegen
Eine Verdachtskündigung ist nur möglich, wenn ein konkreter Bezug zur Arbeit vorliegt. Gerät ein Kollege in den Verdacht, in der Freizeit einen Schokoriegel gestohlen zu haben, dann kann er deswegen nicht entlassen werden. Stiehlt er bzw. gerät er in den Verdacht, am Arbeitsplatz einen Schokoriegel eines Kollegen gestohlen zu haben, dann kann ihm schon die Verdachtskündigung ausgesprochen werden.
Ohne Möglichkeit zur Stellungnahme keine Kündigung
Betroffene müssen vor Ausspruch der Kündigung angehört werden, um zum Sachverhalt ausreichend Stellung zu nehmen. Betroffene müssen sich verteidigen dürfen. Die Anhörung kann dabei mündlich oder schriftlich vorgenommen werden.
Achten Sie auf diese Punkte
Die Anhörung muss innerhalb einer Woche stattfinden, nachdem Ihr Arbeitgeber von dem Verdacht Kenntnis erlangt hat. Der Tag, an dem der Verdacht zu ihm durchgedrungen ist, zählt nicht mit.
- Kommt die oder der Betroffene nicht zur Anhörung oder schweigt sie/er, dann darf Ihr Arbeitgeber kündigen. Denn die oder der Betroffene hat dann gezeigt, dass er sich nicht weiter einlassen möchte.
- Ist ein Betroffener krank oder im Urlaub, kann die Anhörung auf den Genesungszeitpunkt bzw. auf die Rückkehr verschoben werden. So lange darf sich Ihr Arbeitgeber Zeit lassen.
- Gibt es nach der Anhörung noch offene Fragen, muss Ihr Arbeitgeber den Mitarbeiter nochmal ergänzend anhören. Denn der Sachverhalt muss – so gut es geht –
aufgeklärt werden.
Wichtig: Die Anhörung der oder des Betroffenen ist aber nicht die einzige Maßnahme, die Ihr Arbeitgeber ergreifen muss. Er muss alles ihm Mögliche und Zumutbare zur Sachverhaltsaufklärung tun. Er muss z. B. auch Kolleginnen/Kollegen oder sogar Kunden fragen, ob sie etwas gesehen haben. Durch jede Frage kann sich auch eine Entlastung für die oder den Betroffenen ergeben.
2-Wochen-Frist beachten
Möchte Ihr Arbeitgeber die fristlose Kündigung aussprechen, dann hat er dafür an sich nur zwei Wochen ab Kenntnis des Tatverdachts Zeit. Diese zwei Wochen reichen eventuell nicht zur Sachverhaltsaufklärung. Um diesen Konflikt zu entschärfen, beginnt die Frist erst mit Abschluss der erforderlichen Sachverhaltsaufklärung, insbesondere erst mit Abschluss der Anhörung des Arbeitnehmers bzw. der Arbeitnehmerin.
Information des Arbeitgebers an Sie
Wenn Sie mit einer Verdachtskündigung konfrontiert werden, muss Sie Ihr Arbeitgeber insbesondere über die folgenden Punkte informieren:
- alle ihm bekannten Verdachtsmomente
- die Ermittlungsergebnisse
- das Ergebnis weiterer Nachforschungen
- die den Mitarbeiter entlastenden Fakten
- das Ergebnis der Anhörung des Mitarbeiters
Wichtig: Die Anhörung der oder des Betroffenen muss vor Ihrer Anhörung als Betriebsrat liegen, sonst ist die Kündigung unwirksam. Am besten Sie fordern gleich die ganze „Ermittlungsakte“ an – dann sind Sie auf dem gleichen Wissensstand wie der Arbeitgeber und können die Rechtmäßigkeit der Kündigung am besten beurteilen.