Das kommt leider immer wieder vor: Ihr Arbeitgeber möchte eine Arbeitnehmerin oder einen Arbeitnehmer loswerden. Er stellt sie oder ihn kurzerhand frei. Doch siehe da: Ganz so einfach ist das nicht – glücklicherweise. Das zeigt auch ein brandneues Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Schleswig-Holstein, das am 9.4.2020 veröffentlicht worden ist (Urteil vom 6.2.2020, Az: 3 SaGA öD/19).
Beschäftigte, die in einem ungekündigten Anstellungsverhältnis stehen, haben ein Recht auf Beschäftigung. Das folgt aus dem Persönlichkeitsrecht der oder des Betroffenen. Nur wenn Ihr Arbeitgeber überwiegende und schutzwerte Interessen vorweisen kann, kann er einen Beschäftigten (nach einer Abwägung der Interessen beider Seiten) gegen seinen Willen freistellen, also von der Arbeit suspendieren Denn es gilt der Grundsatz:
In einem Arbeitsverhältnis gibt es zwei wesentliche Pflichten:
- Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer muss arbeiten und
- Ihr Arbeitgeber muss sie oder ihn beschäftigen und dafür bezahlen (vgl. § 611 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)).
Im jetzt entschiedenen Fall stellte ein Arbeitgeber eine aufgrund des Tarifvertrags inzwischen „unkündbare“ Arbeitnehmerin von der Arbeit frei. Verfehlungen gab es keine. Der Arbeitgeber wollte die Arbeitnehmerin loswerden. Durch die Freistellung wollte er Verhandlungen über die Aufhebung des Vertragsverhältnisses erzwingen. Die Arbeitnehmerin klagte – und gewann. Weil der Arbeitgeber eben eine solche Beschäftigungspflicht hat und er keine Gründe für die Freistellung vorlegen konnte. Denn das „erzwingen wollen“ einer Aufhebungsvereinbarung rechtfertigt nach Auffassung des Gerichts keine Freistellung. Doch der Reihe nach.
Freistellung, was heißt das?
Unter einer Freistellung (die auch Suspendierung genannt wird) versteht man die Entbindung einer oder eines Beschäftigten von der Verpflichtung, die Arbeitsleistung zu erbringen, ohne dass sie oder er dabei den Lohnanspruch verliert. Gesetzlich ist die Freistellung allerdings nicht geregelt.
- Bei der einvernehmlichen Freistellung trifft Ihr Arbeitgeber mit der oder dem Betroffenen eine Vereinbarung darüber, ab wann und wie die Freistellung erfolgen soll.
- Bei einer einseitigen Freistellung hingegen entscheidet Ihr Arbeitgeber allein, ob, wann und für welchen Zeitraum er Ihre Kollegin oder Ihren Kollegen freistellt.
In diesen 8 Fällen ist eine einseitige Freistellung erlaubt (also eine Ausnahme von der Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers möglich):
- bei der Gefahr einer Schädigung des Betriebs, etwa durch das geplante Ausspionieren von Geschäftsgeheimnissen
- bei einer ansteckenden Erkrankung einer Kollegin oder eines Kollegen
- bei dem konkreten Verdacht des Begehens von Straftaten
- bei konkreter Gefahr erheblicher Beschädigungen
- bei vollzogenen Betriebsstilllegungen, bei Rationalisierung oder bei Naturkatastrophen, die eine weitere Beschäftigung unmöglich machen
- bei einem herausgehobenen Mitarbeiter (LAG Hamm, Urteil vom 13.2.2015, Az: 18 SaGa 1/15)
- wenn das „schutzwürdige Interesse“ Ihres Arbeitgebers an der Freistellung das Interesse des Arbeitnehmers an der Beschäftigung überwiegt (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.1.2014, Az: 21 Sa 53/13; LAG Hessen, Urteil vom 20.3.2020, Az: 18 SaGa 175/13)
- Eine Freistellung kann aber auch infrage kommen, um damit eine fristlose Kündigung auf Druck anderer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu vermeiden (LAG Bremen, Urteil vom 17.6.2015, Az: 3 Sa 129/14).
Was ich Ihnen empfehle
Eine Freistellung ist noch keine Kündigung. Deshalb haben Sie kein Mitbestimmungsrecht. Aber Aufklärungsarbeit und Unterstützung können Sie geben. Sie können Ihren Kolleginnen und Kollegen also mit auf den Weg geben:
- Als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben sie nicht nur einen Anspruch auf Lohn, sie haben auch einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung.
- Entgegen einer gerade unter Arbeitgebern weit verbreiteten Ansicht, darf Ihr Arbeitgeber eine Arbeitnehmerin oder einen Arbeitnehmer nämlich nicht einseitig freistellen. Und zwar auch dann nicht, wenn er sich bereit erklärt, dem Betroffenen den Lohn fortzuzahlen (LAG Baden-Württemberg, 16.2.2017, Az: 21 SaGa 1/16).