Der Arbeitnehmer eines Zeitarbeitsunternehmens wurde als Hausmeister an einer Schule beschäftigt. Als er schwer erkrankte, kündigte der Entleiher den Vertrag. In Folge kündigte das Zeitarbeitsunternehmen dem Arbeitnehmer unter Hinweis darauf, dass der für ihn bestehende Verleihvertrag gekündigt worden sei. Es folgten mehrere Prozesse – und ein Lehrstück für die Praxis.
Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage. Vor Gericht wurde, wie so oft in solchen Fällen, ein Vergleich geschlossen. Doch dann klagte der Arbeitnehmer erneut. Begründung: Er sei aufgrund seiner Schwerbehinderung entlassen worden.
Demnach stehe ihm eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu. Doch da wäre noch etwas:
- Zum Zeitpunkt der Kündigung war der Arbeitnehmer nicht als schwerbehindert oder einem schwerbehinderten Menschen Gleichgestellter anerkannt und
- er hatte zu diesem Zeitpunkt auch noch keinen Antrag auf Schwerbehinderung gestellt.
Die Klage begründete der Arbeitnehmer anders
Für den Arbeitgeber hätte zum Zeitpunkt der Kündigung offensichtlich sein müssen, dass er, der Arbeitnehmer, schwerbehindert sei. Schließlich habe er zum Zeitpunkt der Kündigung mit einem Schlaganfall im Krankenhaus gelegen und sei halbseitig gelähmt gewesen. Deshalb hätte der Arbeitgeber auch keine Kündigung ohne Beteiligung und Zustimmung des Integrationsamtes aussprechen dürfen. Schon die Nicht-Beteiligung des Integrationsamtes weise deutlich auf eine Diskriminierung hin.
Kein Erfolg vor dem BAG
Die Klage des Arbeitnehmers blieb ohne Erfolg (Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 2.6.2022, Az: 8 AZR 191/22). Das BAG macht zwar deutlich: Der Arbeitnehmer hat durch die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG erfahren. Aber:
Er hatte nicht dargelegt, dass die Benachteiligung wegen seiner (Schwer-)Behinderung erfolgte. Es war zum Zeitpunkt der Kündigung für den Arbeitgeber nicht davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer „offensichtlich schwerbehindert“ ist – und es bleiben wird. Und damit bin ich beim Kern des Urteils:
Die 3 Kriterien, die bei einer Kündigung die Beteiligung des Integrationsamtes erforderlich machen
Schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Kollegen genießen besonderen Kündigungsschutz. Eine ordentliche Kündigung ist nicht ausgeschlossen. Aber Ihr Arbeitgeber muss vorher die Zustimmung des Integrationsamts einholen (§ 168 Sozialgesetzbuch (SGB) IX). Anderenfalls ist seine Kündigung unwirksam.
Die Zustimmung des Integrationsamts benötigen Ihr Arbeitgeber bei folgenden Personen:
- Menschen, die als schwerbehindert anerkannt sind (Grad der Behinderung – GdB – von mindestens 50)
- Beschäftigte, deren Behinderung offensichtlich ist (z. B. Rollstuhlfahrer oder Blinde), auch wenn sie (noch) nicht anerkannt wurde
- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem GdB von 30, aber weniger als 50, die von der Agentur für Arbeit einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wurden.
Warum der Arbeitnehmer im vorliegenden Fall falsch lag
Im entschiedenen Fall beruft sich der Arbeitnehmer darauf, dass er zum Zeitpunkt der Kündigung „offensichtlich“ schwerbehindert war. Doch das konnte hier nicht verfangen, da eine halbseitige Lähmung nach einem Schlaganfall nicht ungewöhnlich ist – und keinesfalls von Dauer sein muss.
Meine Empfehlung für Sie als Betriebsrat in vergleichbaren Fällen
Schauen Sie sich in der Kündigungsanhörung in ähnlichen Fällen sehr genau die Umstände des Falls an. Und eine Kündigung nur deshalb, weil jemand einen Schlaganfall erlitten hat? Das heißt „Nein“ zur Kündigung in der Anhörung nach § 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Sicherlich dauert die Genesung länger, und die oder der Betroffene fällt länger aus. Das allein stellt aber noch keinen Kündigungsgrund dar. Vor allem in Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten, also solchen, die dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) unterliegen.
Holen Sie sich hier Verbündete mit ins Boot
Ziehen Sie, falls vorhanden, immer auch die Schwerbehindertenvertretung hinzu und beraten Sie den Fall. Wohlgemerkt: Es geht hier um Beschäftigte, die noch nicht offiziell als schwebehinderte Personen anerkannt oder ihnen gleichgestellt wurden. Denn grundsätzlich gilt: Gibt es im Betrieb Ihres Arbeitgebers eine solche Schwerbehindertenvertretung, muss Ihr Arbeitgeber diese zwingend zur beabsichtigten Kündigung anhören.