Als das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 13.9.2022 entschied, dass jede Arbeitszeit zu erfassen ist, hieß es: Erst einmal die Urteilsbegründung abwarten. Die hat das BAG am 3.12.2022 veröffentlicht. Damit ist klar: Die Arbeitszeiterfassung ist Pflicht. Ab sofort und für alle. Und Ihnen als Betriebsrat kommt hierbei eine wichtige Aufgabe zu. Doch schauen wir uns das der Reihe nach an.
Der zugrundliegende Fall dreht sich um einen Betriebsrat, der seinen Arbeitgeber zur Erfassung der Arbeitszeit aller seiner Beschäftigten zwingen wollte. Hierzu verwies er auf sein Initiativrecht aus § 87 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Doch der Arbeitgeber sah das anders. Der Betriebsrat klagte – und verlor. Doch damit ging der Donnerschlag erst los.
Nach § 87 Abs. 1 BetrVG besteht kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, weil die betreffende Angelegenheit „gesetzlich geregelt ist“. Und hierbei verweist das BAG auf § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Und das hat Auswirkungen auf Arbeitgeber und Beschäftigte.
Demnach hat Ihr Arbeitgeber zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach § 3 Abs. 1 ArbSchG unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten für eine „geeignete Organisation“ zu sorgen und die „erforderlichen Mittel“ bereitzustellen, um den Arbeits- und Gesundheitsschutz der Beschäftigten zu gewährleisten. Und hierzu gehört ohne Wenn und Aber die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG).
Diese Einhaltung kann aber nur kontrolliert werden (auch durch Sie als Betriebsrat), wenn die Arbeitszeit der Beschäftigten erfasst wird. Und zwar aller Beschäftigten (BAG, Beschluss vom 13.9.2022, Az: 1 ABR 22/21). Wörtlich heißt es im Urteil:
Arbeitgeber „sind schon kraft Gesetzes verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden in ihrem gemeinsamen Betrieb erfasst werden …“
Wichtig sind in diesem Zusammenhang die Wörter „System“ und „erfassen“
Hinter „System“ versteht das BAG jede Möglichkeit der Arbeitszeiterfassung. Es reicht vorerst also aus, wenn Ihre Kolleginnen und Kollegen, deren Arbeitszeit bislang nicht erfasst wird (Vertrauensarbeitszeit, Außendienst, Homeoffice etc.) ihre Arbeitszeit
- auf Papier (z. B. auf einem Stundenzettel),
- per Excel-Liste oder in z. B. Word,
- per „Stechuhr“ oder
- durch automatische Erfassung im Computer in einem An- und Abmeldeprogramm oder
- in einer App
festhalten.
Hier wird das BAG konkret
Was erfasst werden muss, gibt das BAG ebenfalls vor. Im Urteilstext liest sich das so: „Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit (einschließlich der Überstunden) … müssen … erfasst und damit aufgezeichnet werden …“
Und weiter: „Die Pflicht zur Einführung beschränkt sich zudem nicht darauf, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmern ein solches System zur freigestellten Nutzung zur Verfügung stellt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss er hiervon auch tatsächlich Gebrauch machen (vgl. EuGH 14. Mai 2019 – C-55/18).“
Achtung!
Ihr Arbeitgeber könnte nun argumentieren: „Per Gesetz brauche ich in der Regel nur Überstunden aufzuzeichnen“. Das stimmt zwar, wenn man auf § 16 Abs. 2 ArbZG schaut. Aber genau diese Argumentation hat das BAG in seinem Urteil verworfen. Es beruft sich auf die Rechtsprechung des EuGH, die eine Arbeitszeiterfassung ebenfalls zwingend vorsieht.
Die Entscheidung des EuGH lässt wenig Spielraum
Das EuGH hat in der oben schon angesprochenen Entscheidung klar gesagt: Eine konsequente Erfassung der Arbeitszeit sei erforderlich, um
- die geleisteten Arbeitsstunden eines jeden Mitarbeiters und einer jeden Mitarbeiterin objektiv und verlässlich zu ermitteln und um
- überprüfen zu können, ob dabei die Arbeitszeitgrenzen einschließlich Pausen und Ruhezeiten eingehalten werden.
Was Sie nun mit Ihrem Arbeitgeber besprechen sollten
- Gibt es Kollegen, deren Arbeitszeit nicht oder nicht systematisch erfasst wird? Da diese Pflicht laut BAG ab sofort besteht, ist hier höchste Eile angesagt.
- Klären Sie mit Ihrem Arbeitgeber, wie und dass sämtliche Arbeitszeiten der Beschäftigten aufgezeichnet werden – mit Beginn, Ende und Pausen. Ihr Arbeitgeber darf die Arbeitszeiterfassung an Ihre Kolleginnen und Kollegen delegieren, sodass diese ihre Arbeitszeit selbst aufzeichnen. Eine bestimmte Form der Arbeitszeiterfassung ist derzeit nicht vorgeschrieben.
- Denken Sie auch an die Mitarbeiter im Homeoffice. Und an Kolleginnen und Kollegen, die Vertrauensarbeitszeit genießen. Vertrauensarbeitszeit an sich ist weiterhin möglich.
- Machen Sie Ihrem Arbeitgeber deutlich: Wenn technische Einrichtungen zur Arbeitszeiterfassung eingeführt werden sollen, sprechen Sie mit (§ 87 Nr. 1 Abs. 6 BetrVG).
- Weisen Sie darauf hin, dass Sie Ihre Kontrollfunktion aktiv ausüben werden. Sie haben das Recht, sich die Arbeitszeitaufzeichnungen zur Kontrolle vorlegen zu lassen. So hat es das BAG bereits 2003 entschieden (Az: 1 ABR 13/02) – und zuletzt das Landesarbeitsgericht (LAG) München mit Urteil vom 11.7.2022, Az: 4 TaBV 9/22.