Stellen Sie sich vor, Ihr Arbeitgeber baut in der Produktion eine Hierarchieebene ab (z. B. „ungelernte Kräfte“), er schärft das Anforderungsprofil („nur noch Beschäftigte mit Programmierkenntnissen“) – und kündigt den nun nicht mehr Gewollten mit der Begründung: „Hierarchieebene gestrichen“. Reicht das als Grund für betriebsbedingte Kündigungen?
Nein, sagt das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz in seinem jetzt veröffentlichten Urteil vom 8.7.2025, Az. 6 SLa 235/24. Denn wenn die Entscheidung Ihres Arbeitgebers nur bedeutet, dass Aufgaben umverteilt werden, muss er sehr konkret darlegen, wer künftig welche Arbeiten in welchem Umfang erledigt – und zwar ohne Mehrarbeit über die vertragliche Arbeitszeit hinaus.
Worauf das Gericht besonders schaut – tun Sie es als Betriebsrat auch
Ein entscheidender Punkt im Fall einer gerichtlichen Prüfung (und deshalb auch bei Ihrer Konsultation zur Betriebsänderung bzw. bei Ihrer Anhörung zu den Kündigungen) ist die konkrete Organisationsdarstellung. Die Angaben „Ebene 4 fällt weg“ reicht nicht, wenn die Aufgaben im Betrieb verbleiben! Ihr Arbeitgeber muss stattdessen vorrechnen:
- Welche Tätigkeiten entfallen?
- Welche Tätigkeiten bleiben?
- Wie viele Stunden werden frei?
- Wie verteilt er den Rest auf das verbleibende Team?
- Eine nachvollziehbare Personalbedarfsrechnung ist Pflicht.
Beispiel
Ein Arbeitgeber plant, die Ebene der Produktionshelfer aufzulösen. In seiner Organisationsdarstellung führt er detailliert aus:
- Bisher: Drei Produktionshelfer mit je 38 Wochenstunden waren zuständig für Materialtransport (15 Std.), Maschinenreinigung (12 Std.) und einfache Montagetätigkeiten (11 Std.).
- Künftig: Der Materialtransport entfällt vollständig, weil ein automatisiertes Fördersystem installiert wurde (15 Std. pro Stelle). Die Maschinenreinigung wird auf das externe Reinigungsteam übertragen (12 Std. pro Stelle). Die einfachen Montagetätigkeiten werden von Facharbeitern übernommen, die durch den Wegfall eines Fremdauftrags nun 10 Stunden pro Woche Kapazität frei haben.
- Eine Gesamt-Überlastung der verbleibenden Facharbeiter liegt laut Personalbedarfsrechnung nicht vor.
Eine solche Art der Darstellung zeigt nachvollziehbar, welche Tätigkeiten tatsächlich entfallen und wie verbleibende Aufgaben (angeblich) ohne Mehrarbeit aufgefangen werden. Lassen Sie sich eine solche quantitativ belegte Organisationsentscheidung vorlegen – spätestens im Streitfall wird das Gericht genau diese verlangen!
Keine verdeckten Überstunden
Rechnen Sie genau nach. Das verbleibende Personal muss die umverteilten Aufgaben ohne überobligatorische Leistungen schaffen. Behauptungen wie „läuft jetzt schneller“ reichen nicht. Ihr Arbeitgeber muss nachvollziehbare Fakten liefern!
Auch das ist wichtig: Hebt Ihr Arbeitgeber das Anforderungsprofil an (z. B. nur noch mit Programmierkenntnissen), muss er den betrieblichen Anlass und die Umsetzung erläutern – und prüfen, ob Umschulung/Fortbildung als milderes Mittel zumutbar gewesen wäre.
Beispiel – So geht es nicht:
Ein Arbeitgeber beschließt, künftig nur noch Fachkräfte mit CNC-Programmierkenntnissen einzusetzen. Begründung: „Die Fertigung wird moderner.“ Die bisherigen Maschinenbediener ohne Programmierkenntnisse sollen betriebsbedingt gekündigt werden. Auf Nachfrage des Betriebsrats bleibt der Arbeitgeber jedoch jede konkrete Erklärung schuldig:
- Welche Maschinen tatsächlich ersetzt oder umgerüstet werden,
- wann die Umstellung erfolgt,
- welche Schulungen vorgesehen sind,
- und warum eine Qualifizierung der vorhandenen Beschäftigten nicht möglich oder wirtschaftlich unzumutbar wäre.
- Zudem zeigt die Arbeitsplanung: In mehreren Abteilungen laufen die alten Maschinen weiter, dort sind die bisherigen Beschäftigten weiterhin voll einsetzbar.
Folge: In einem solchen Fall fehlt es an einer tragfähigen unternehmerischen Entscheidung mit nachvollziehbarer Umsetzung. Der Arbeitgeber darf Qualifikationsanforderungen nicht beliebig „nach oben schrauben“, um Kündigungen zu rechtfertigen. Ohne klare technische, organisatorische oder wirtschaftliche Notwendigkeit – und ohne Prüfung milderer Mittel wie Fortbildung – wäre eine Kündigung sozialwidrig. Widersprechen Sie also der Kündigung!
So sprechen Sie mit
Sieht sich Ihr Arbeitgeber aus betriebsbedingten Gründen gezwungen, eine unternehmerische Entscheidung zu treffen, die zum Abbau von Arbeitsplätzen führt, muss er zunächst eventuelle Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten prüfen und eine Sozialauswahl vornehmen. Danach muss er Sie als Betriebsrat über seine Kündigungsabsicht informieren. Sie kommen also erst im Rahmen einer Kündigung ins Spiel (§ 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)).
Achtung!
Bei einer Betriebsänderung sieht das anders aus! Gemeint sind mitbestimmungspflichtige Betriebsänderungen, die in den §§ 111 bis 113 BetrVG geregelt sind. Dabei meint das Gesetz nur solche Maßnahmen, durch die die Funktionsweise des Betriebs in nicht alltäglicher Weise geändert wird. Außerdem muss zumindest das Risiko bestehen, dass die Betriebsänderung wesentliche Nachteile für die Beschäftigten zur Folge hat. Und: Es muss die gesamte Belegschaft, oder zumindest ein erheblicher Teil der Belegschaft betroffen sein.
Für die Anhörung bei betriebsbedingten Kündigungen gilt Folgendes
In der Anhörung muss Ihr Arbeitgeber jeden einzelnen Kollegen benennen, dem er kündigen möchte – mit all den Angaben, die zu jeder anderen Anhörung auch gehören – plus: die Hintergründe für seine Entscheidung, wie z. B. Rationalisierungsmaßnahmen und wie und anhand welcher Kriterien er die Sozialauswahl getroffen hat.
Wichtig: Prüfen Sie anhand der oben genannten Kriterien, ob die betriebsbedingten Kündigungen tatsächlich möglich sind. Prüfen Sie in einem Rutsch mit, ob es eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen Arbeitsplatz gibt, und natürlich auch, ob Ihr Arbeitgeber die Sozialauswahl korrekt berücksichtigt hat (§ 102 Abs. 3 BetrVG). Falls das nicht der Fall ist, müssen Sie nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 bzw. Nr. 3 BetrVG widersprechen.
Vor einigen Jahren brauchte ich dringend Informationen zu einer arbeitsrechtlichen Fragestellung in eigener Sache.