2020 hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamburg eine äußerst erfreuliche Entscheidung gefällt: Als Betriebsrat haben Sie ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung von Personalbemessungszahlen und Personalschlüsseln (Beschluss vom 16.7.2020, Az: 8 TaBV 8/19). Diese Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun wieder kassiert (Entscheidung vom 7.12.2021, Az: 1 ABR 25/20).
Das LAG Hamburg meinte, dass Sie als Betriebsrat aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ein solches zwingendes Recht herleiten können.
Im damals entschiedenen Fall hatte der Betriebsrat gefordert, dass er beteiligt wird, weil nur dann, wenn er bei der personellen Besetzung von Schichten und Abteilungen mitspricht, der Gesundheitsschutz der Beschäftigten sichergestellt werden kann. Es gelte, zu hohe psychische Belastungen zu verhindern. Via Einigungsstelle wurden dem Arbeitgeber entsprechende Vorgaben gemacht, wogegen er sich gerichtlich wehrte. Dass ihm der Beschluss des LAG Hamburg nicht passte, liegt auf der Hand. Also legte er Revision, das ist die Berufung vor dem BAG, ein. Hier hatte er Erfolg. Leider.
So hat das BAG entschieden
Ihr Mitbestimmungsrecht beim Gesundheitsschutz besteht immer da, wo der Gesetzgeber nur den Rahmen vorgibt, nicht aber die konkrete Umsetzung.
Beispiel
Der Gesetzgeber schreibt vor, dass Ihr Arbeitgeber Gefährdungsbeurteilungen erstellen muss. Die konkrete Umsetzung über das „Wie“ lässt er offen. Hier hat Ihr Arbeitgeber einen Gestaltungsspielraum.
Folge
- Als Betriebsrat haben Sie zum einen die Pflicht, zu überwachen, ob Ihr Arbeitgeber seiner gesetzlichen Pflicht nachkommt.
- Zum anderen können Sie Einfluss nehmen, wie die Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt werden – und welche Maßnahmen daraus resultieren.
Im Klartext heißt das: Sie können klare Regeln für die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen erzwingen – und auch darüber, welche Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Diese Grundsätze hat das BAG in seinen beiden heute noch gültigen Urteilen aus dem Jahr 2004 unmissverständlich deutlich gemacht (Urteile vom 8.6.2004, Az: 1 ABR 13/03 und 1 ABR 4/03). Doch mit dem neuen Urteil erfolgt nun eine wichtige Klarstellung.
Das ist wichtig für Sie: Ausgangspunkt des Urteils sind § 3 Abs. 1 und Satz 1 und Satz 2 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG). Hier ist geregelt, dass Ihr Arbeitgeber verpflichtet ist, „geeignete Maßnahmen“ zum Arbeitsschutz zu ergreifen. Hierfür muss er Gefährdungsbeurteilungen durchführen.
Nach den Sätzen 1 und 2 hat er bei der Planung und Durchführung der Maßnahmen „unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen“. Zudem hat er „Vorkehrungen zu treffen, dass die Maßnahmen auch wirklich beachtet, kontrolliert und umgesetzt werden.“
Das heißt: Ihr Arbeitgeber muss erst Gefährdungen feststellen, dann geht es an die Maßnahmen. Hier setzt die Mitbestimmung über das „Wie“ ein. Das BAG spricht in seinem Urteil von folgender Reihenfolge:
- Am Anfang steht die Gefährdungsbeurteilung.
- Anhand der Gefährdungsbeurteilung wird ermittelt, „welche Schutzmaßnahmen geeignet und angemessen sind“.
- Bei der Frage nach dem „Wie“ der Gefährdungsbeurteilung sprechen Sie als Betriebsrat mit (und können zur Not auch eine Regelung über die Einigungsstelle herbeiführen).
- Die Frage des „Wie“ umfasst aber weder „die Beantwortung der Frage“, welche konkreten Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten angesichts einer festgestellten Gefährdung ergriffen werden können, noch die auf konkrete Schutzmaßnahmen bezogene Wirksamkeitskontrolle!
Kurzum: Wenn Sie als Betriebsrat entdecken oder vermuten, dass eine Gefährdung besteht, holen Sie die Fachkraft für Arbeitssicherheit ins Boot. Fordern Sie gemeinsam mit ihr den Arbeitgeber auf, eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Hierbei können Sie nach § 5 ArbSchG in Verbindung mit § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG einfordern, dass Ihr Arbeitgeber gemeinsam mit Ihnen festgelegt,
- welche Beschäftigten betroffen sind (wer alles also einer gleichartigen Tätigkeit nachgeht);
- mit welchen Methoden und Verfahren die Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wird und
- wie die so ermittelten Schutzmaßnahmen umgesetzt werden.
Fazit
Sehen Sie die neue Entscheidung als Aufforderung an, frühzeitig für den Gesundheitsschutz zu kämpfen. Setzen Sie beim Thema Gefährdungsbeurteilungen an. Nutzen Sie hierbei gern auch die folgende Muster-Betriebsvereinbarung, mit der Sie den Fuß in die Tür stellen. Die Tür zu allein weiteren Maßnahmen, die auf eine Gefährdungsbeurteilung folgen.