Im kommenden Frühjahr finden die nächsten regulären Betriebsratswahlen statt. Und ganz nach dem Motto „Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus“ hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun eine wichtige Entscheidung zum Thema Briefwahl getroffen (Beschluss vom 22.1.2025, Az. 7 ABR 1/24).
Im entschiedenen Fall hatten 23 Beschäftigte vom Wahlvorstand Briefwahlunterlagen angefordert. Eine nähere Begründung hierfür lieferten sie nicht. Der Wahlvorstand hakte auch nicht nach. Er versandte die Briefwahlunterlagen an die betroffenen Kolleginnen und Kollegen – versehen mit einem kurzen Hinweis, wie die Wahlunterlagen zu falten sind, damit die Stimme gezählt werden kann. Nach der Wahl passierte es …
Ein nicht gewählter Wahlkandidat nahm die formlose Übersendung der Briefwahlunterlagen zum Anlass, um die Wahl anzufechten. Schließlich seien Briefwahlunterlagen nur für diejenigen Beschäftigten gedacht, die nachweislich am Wahltag nicht im Haus oder verhindert seien.
BAG ließ den Kandidaten auflaufen
Das BAG entschied: Wenn Wahlberechtigte an den Wahlvorstand herantreten und die Übersendung von Briefwahlunterlagen erbeten, braucht der Wahlvorstand keine eigenen Nachforschungen anzustellen, ob die Betroffenen am Wahltag wirklich verhindert oder nicht im Haus sind, oder nicht. Er kann die Unterlagen übersenden.
Das BAG kurz und knapp: „Das Verlangen genügt.“ Eine Begründung ist nicht erforderlich. Erst wenn der Wahlvorstand berechtigte Zweifel an der Abwesenheit hat, darf er nachfragen.
Was heißt das konkret für die Praxis?
Schon eine E-Mail mit dem Text „Ich bitte um Briefwahlunterlagen“ rechtfertigt die Übersendung von Briefwahlunterlagen an die oder den Betroffenen. Und – anders als vom Arbeitgeber im entschiedenen Fall angenommen – reicht es auch, wenn ein Mitglied des Wahlvorstands die Unterlagen dann einfach verschickt. Es muss vorher kein förmlicher Beschluss im Wahlvorstand getroffen werden. Das gibt die Wahlordnung schlichtweg nicht her.
Achten Sie aber auf die „Bedienungsanleitung“
Die Frage, wie Stimmzettel gefaltet wurden, spielte im entschiedenen Fall ebenfalls eine wichtige Rolle. Einige Beschäftigte hatten den Stimmzettel nämlich mit der Schriftseite nach außen gefaltet. Die Folge: Der Wahlvorstand erklärte diese Stimmen für ungültig. Zu Recht, so das BAG. Denn: Nach der Wahlordnung muss der Stimmzettel so gefaltet sein, dass die Stimmabgabe nicht zu erkennen ist (geregelt in § 11 Abs. 1 Satz 2 Wahlordnung Betriebsverfassungsgesetz (WO BetrVG)).
Deshalb: Legen Sie unbedingt eine klare Faltanleitung den Unterlagen bei – mit Hinweis auf die Ungültigkeit falsch gefalteter Zettel. Sie können ruhig „höflich“ formulieren. Auch ein Thema im zugrundeliegenden Beschluss: Ein Wahlbewerber hatte kritisiert, dass die Anleitung auf dem Stimmzettel zu weich formuliert gewesen sei („Bitte falten Sie so, dass …“). Das BAG winkt ab: Solange der Hinweis verständlich ist und auf die Konsequenzen (Ungültigkeit) hinweist, reicht das völlig. Möchten Sie es deutlicher formulieren, können Sie sich aber an der folgenden Musterformulierung orientieren: „Der Stimmzettel ist so zu falten, dass die Schriftseite nicht sichtbar ist. Andernfalls ist Ihre Stimme ungültig (§ 11 Abs. 1 WO BetrVG).“
Achtung: Urteil ist kein Freifahrtschein!
Briefwahlunterlagen auf Anforderung versenden? Ja, sagt das BAG – sofern Sie nicht definitiv wissen, dass die oder der Anfordernde am Wahltag im Unternehmen ist. Inflationär „einfach so“ aber dürfen Sie Briefwahlunterlagen auch weiterhin nicht verschicken. Also beispielsweise nicht der Einfachheit halber an alle im Homeoffice oder sich in Kurzarbeit befindenden Kolleginnen und Kollegen.
In einer früheren Entscheidung hat das BAG klargestellt: Die Briefwahl ist ein Ausnahmeverfahren und ihre Voraussetzungen sind in § 24 Abs. 2 WO abschließend geregelt (BAG, Beschluss vom 23.10.2024, Az. 7 ABR 34/23). Klare Aussage: Der Wahlvorstand darf von sich aus (!) nur denjenigen die Unterlagen zusenden, von denen ihm sicher bekannt ist, dass sie während der Wahlzeit tatsächlich nicht im Betrieb anwesend sein werden. Die pauschale Zuweisung zur Briefwahl — ohne Einzelfallprüfung – ist rechtswidrig.
Das BAG hat das 2022 bereits in einem anderen Fall deutlich gemacht: In diesem Fall hatte der Wahlvorstand für die Beschäftigten sämtlicher außerhalb des geschlossenen Werksgeländes liegenden Betriebsstätten die schriftliche Stimmabgabe (Briefwahl) beschlossen. Drei dieser Betriebsstätten aber lagen unmittelbar angrenzend an das umzäunte Werksgelände. Es wäre den Beschäftigten ein Leichtes gewesen, an der Wahl persönlich teilzunehmen. Folge: Die Wahlanfechtung von neun Beschäftigten hatte Erfolg. Das BAG erklärte die Wahl sogar für nichtig! Grund: Der Wahlvorstand kann die schriftliche Stimmabgabe nur für räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernte Betriebsteile und Kleinstbetriebe beschließen. Sonst verstößt er gegen § 24 Abs. 3 der WO. Eine Anfechtung der Wahl führt in diesem Fall unweigerlich zum Erfolg (Beschluss vom 16.3.2022, Az. 7 ABR 29/20). Doch auch hier gilt: Wenn Beschäftigte formlos Briefwahlunterlagen anfordern, dann ist der Versand an diese in Ordnung.
Meine Empfehlung für Sie
Stellen Sie als Wahlvorstand ein klares, zweistufiges Verfahren auf. So vermeiden Sie Fehler – und sichern die Wahl ab:
1. Auf Anforderung reagieren – formlos reicht.
Kommt eine individuelle Bitte um Briefwahl, genügt diese laut BAG – ohne Nachweis oder Begründung. Dokumentieren Sie aber den Eingang (z. B. per Screenshot oder Aktennotiz).
2. Von sich aus verschicken? Nur mit Vorsicht!
Wenn Sie Briefwahlunterlagen ohne Antrag versenden, tun Sie das nur bei nachgewiesener Abwesenheit während der Wahl – z. B. bei Langzeitkranken oder Elternzeit. Homeoffice, Außendienst oder Kurzarbeit reichen nicht pauschal aus.
Fazit
Die Briefwahl bleibt ein sensibles Thema. Das BAG hat für mehr Rechtssicherheit gesorgt – doch Sie als Wahlvorstand bleiben in der Pflicht. Wer klar dokumentiert, transparent kommuniziert und sich an die Regeln hält, braucht Anfechtungen nicht zu fürchten.
Verzichten Sie auf Wahlwerbung in den Briefwahlunterlagen
Ein Wahlvorstand hatte die Briefwahlunterlagen mit einer Empfehlung für eine der kandidierenden Listen versehen. Folge: Wahl ungültig. Denn § 20 Abs. 2 BetrVG verbietet jegliche Form von Wahlbeeinflussung (Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.11.2019, Az. 4 TaBV 2/19). Um es klar zu sagen: Der Wahlvorstand unterliegt der Neutralitätspflicht und muss die Wahlvorschläge und die konkurrierenden Bewerber gleich behandeln. Er hat alles zu unterlassen, was die Chancen der Bewerber im Wettbewerb um Stimmen beeinflussen könnte. Hingegen ist ein neutraler Wahlaufruf zulässig.